140 Huskies in Haliburton Forest & das Multi-Kulti-Toronto (er)leben

Hallo ihr Lieben,

 

ich hoffe, das neue Jahr hat euch mit einem Laecheln empfangen!

Machen wir am besten dort weiter, wo ich in meinem letzten Beitrag aufgehoert habe.

Toronto. Auf dem Weg zu den Huskies im Haliburton Forest.

Aufgeregt, neugierig und mit reichlich Elan bin ich am Freitag, den 18.12.15 in Haliburton angekommen. Ich wurde ich von einer aufgedreht-froehlichen Ines begruesst, die mir den restlichen Nachmittag das Gelaende gezeigt hat. Bei den Hunden waren wir natürlich auch. Liebe auf den ersten Blick. Hier haette ich schlafen koennen, mit links und rechts drei Huskies im Arm...

Erster Tag, viele Eindruecke, alles neu, ungewohnt, aber in netter Gesellschaft von Ines in unserer Kellerwohnung unter dem Restaurant. Hier gibt es vier Zimmer, eine grosse Kueche mit Wohnbereich und zwei Badezimmern. Lasst es euch gesagt sein: Absoluter Luxus nach den zwei Monaten Zentralasien. 

 

Am Montag Morgen wurde ich in dem täglichen Meeting mit den Worten: "A new face. Welcome" begruesst. Danach hat Elka, die Chefin des Haliburton Forest mich beiseite genommen und mir die Aufgaben und Vorgehensweise mit den Hunden im Schnelldurchlauf erklaert.

 

Die ersten Arbeitstage waren tough. Viel Neues, koerperlich super anstrengend und eine unangenehme Stimmung unter einigen Kollegen. In Haliburton sind 8 Personen fuer die Hunde verantwortlich, deren Arbeitszeiten so rotieren, dass taeglich 4-5 Personen eingesetzt werden. Ein durchschnittlicher Arbeitstag in der Vorbereitung auf die Hundeschlittentouren sieht wie folgt aus:

 

07:00 Uhr: Aufstehen, Fruehstueck, Ankleiden (Duschen macht keinen Sinn!)

07:45 Uhr: Meeting mit den 40 Mitarbeitern von Haliburton Forest, d.h. sowohl die Verantwortlichen fuer die Forstwirtschaft, die Hunde als auch die Verwaltung und das Buero-Personal sind hier anwesend

08:00 Uhr: Medizin fuer die Hunde aus dem Buero mitnehmen, zu den Hundezwingern laufen

08:10 Uhr: Hunde aus den Zwingern in den Hof lassen (Achtung: in einer ganz bestimmten Reihenfolge!)

08:15 Uhr: Medizin geben, den Hof aktiv von Hundehaufen befreien (da die Hunde das sonst essen und davon Wuermer bekommen)

08:45 Uhr: Hunde wegsperren und nur die Hunde, die an diesem Tag trainiert werden, draussen lassen

09:00 Uhr: Hundegeschirr anlegen (wie ein Halfter bei Pferden, das ueber den gesamten Hundekoerper gespannt wird)

09:15 Uhr: Hunde an der bereitliegenden und fest installierten Schnur ausserhalb des Hofes festbinden

09:45 Uhr: Wenn alle an die Schnur gebunden sind, Hunde an der eigentlichen Schnur, die an den Quads haengt, befestigen

10:00 Uhr: Aufs Quad springen, Schnur vom Baum loesen und "Hike up" schreien. Auf gehts.

Waehrend der zwei Stunden im Wald rennen jeweils 12 Hunde vor den beiden Quads bergauf und bergab. Da es noch kein Schnee gab, haben wir Quads zum Trainieren verwendet. Denn die Hunde müssen bewegt werden. Und, viel besser, sie wollen bewegt werden. Es macht Spaß zu sehen, wie sehr diese Rasse es liebt, zu rennen. Egal, wie weit die Zunge aus dem Hals hängt, sie laufen weiter. Normalerweise beginnen die Schlittentouren in Haliburton bereits Mitte November. 

Dieses Jahr gab es den ersten richtigen Schnee und die erste Hundeschlittentour am 30. Dezember! Und da die Quads die fuer die Schlitten ausgelegten Wege zerstoeren, durften wir nur auf dem Haupt-Waldweg verkehren. Definitiv keine feine Loesung!

 

Da einigen Hunden Befehle beigebracht werden müssen, rennt einer von den zwei Personen auf dem Quad die Haelfte der Zeit neben den Hunden und ruft "Gi", waehrend man sie nach rechts hinueberweist oder "ha", wenn sie nach links abbiegen sollen.

Der wichtigste Grund, warum man sich auf dem Waldweg rechts halten muss, sind die riesigen Lastwagen, die die gefaellten Baume zum Saegewerk transportieren und jederzeit um die Ecke geschossen kommen koennen:

 

12:00 Uhr: Rueckkehr, Hunde abtrensen und zurueck in Zwinger bringen

12:15 Uhr: Zwei neueTeams (24 Hunde) zusammentrommeln und wie oben beschrieben fertig machen

12:45 Uhr: "Hike up" und ab gehts!

14:15 Uhr: Rueckkehr, Hunde in Zwinger zurueckbringen

14:30 Uhr: Mittagessen

15:00 Uhr: Hunde fuettern

15:20 Uhr: Hunde in Hof lassen, Hundehaufen einsammeln

16:00 Uhr: Nicht gegessenes Futter einsammeln, Wassereimer auffuellen (wenn gefroren, auftauen), restliche Zwinger putzen (Waehrend drei Mitarbeiter die 2x 24 Hunde im Wald trainieren, bleiben im Regelfall zwei Mitarbeiter zurueck und putzen die Zwinger.)

16:30 Uhr: Hunde rufen, in die Zwinger sperren, kurze Knuddeleinheiten

16:45 Uhr: Medizin geben

17:00 Uhr: Medizin zurueck ins Buero bringen, Feierabend!

FAST

21:00 Uhr: Ines und ich haben die ehrenvolle Aufgabe, die beiden Outdoor-Heizoefen neben dem Buero, die die Holzhuetten der Touristen und das Buero heizen, mit Holz aufzufuellen. Es gab nichts Schoeneres, nachdem du frisch geduscht und schon halb am Schlafen warst.  Aber daran konnte ich mich recht schnell gewoehnen.

 

Die ersten Abende war ich um 19:00 Uhr bettreif. Die viele frische Luft, das viele Rennen mit den Hunden, das Buecken beim Putzen, das Tragen der Wassereimer. Jeder Muskel meines Koerpers tat mir weh. Zumindest die ersten fuenf Tage. Dann hatte mein Koerper gefuehlt einen Grossteil der Muskeln aufgebaut, die man fuer den Job benoetigt. Abends hundedreckig und stinkend nach Hause zu kommen, war irgendwie ein neues, aber erfuellendes Gefuehl. Das mag sich komisch anhoeren, aber das meine ich ernst. 

Ich mag es, die harte Arbeit am Ende des Tages zu spueren und zu sehen. Ein komplett anderer Job zu allem, was ich in der Vergangenheit gemacht habe und definitiv eine Erfahrung, die ich nicht missen moechte.

Die Knuddeleinheiten mit den 140 Huskies, von denen ich nach einer Woche ca. 100 Namen kannte, waren immer zu kurz. Ich hätte Stunden bei diesen charakterstarken Tieren verweilen können. Jeder Huskie ist auf seine ganz eigene Art liebenswürdig und besonders. Die menschlichen Züge der Huskies sind enorm, fast, als sprächen sie mit dir.

 

An Heiligabend und am Ersten Weihnachtsfeiertag waren Ines und ich bei unserer Chefin Elka und ihrem Mann Peter zum Essen eingeladen. Optional haetten wir zu Hause alleine kochen und Filme gucken koennen. Auf diese Weise hatten wir ein paar Kinder um uns (die Enkelkinder von Elka und Peter sind 2 und 5 Jahre alt), Weihnachtsmusik, Pasteten (am 24.12.) und Truthahn (am 25.12.) und reichlich Wein. Aber natürlich ist Weihnachten zu Hause am Schönsten. Ich freue mich schon jetzt auf das naechste Weihnachtsfest in vertrauter Umgebung.

 

Sehnsuechtig habe ich am 28.12. meine Freunde Tinka und Chrischi erwartet, die mich fuer drei Tage in Haliburton besucht haben.

Und so konnten wir am 30.12. (erster Tag mit genuegend Schnee) gemeinsam eine Schlittentour machen. Ich habe diese erste Tour mit einem anderen Hundeschlitten-Guide zusammen geleitet, da noch vier weitere Doppel-Schlitten mit Touristen an der Tour teilgenommen haben. Also waren wir mit 6x6 Hunden und 10 Touries fuer drei Stunden im Wald am Schlitten fahren, mit einer kleinen Pause zum Geniessen der mitgebrachten Heissen Trink-Schokolade. Das war wirklich eine tolle Tour.

 

Die folgenden Tage habe ich gemeinsam mit Tinka und Chrischi in Toronto verbracht. Royal Ontario Museum, St. Lawrence Markt, Fort York aus dem Ende des 18. Jahrhundert (als Verteidigungs-Standort gegen die Amerikaner), eine Brauerei-Tour, ein Schmetterlings-Konservatorium, Chinatown, leckeres Risotto und Suesskartoffel-Gnocchi in Little Italy und als Highlight ein Eishockey-Spiel der Maple Leafs (zu Deutsch „Ahornblaetter“) und ein Trip zu den Niagara-Faellen. Wer weiss, wie viele Liter Wasser pro Minute durchschnittlich die Faelle hinunterstuerzen? 1.000.000 Badewannen voll! Wir haben die Wasserfaelle natuerlich nur von kanadischer Seite angeschaut - bitte keine Umstaende mit Ein- und Ausreise.  

Zum Glueck sind die Niagara-Faelle zu dieser Jahreszeit nicht ganz so touristisch - Ich moechte nicht erleben, wie es dort im Sommer zugeht.

Erschreckend fanden wir die letzten Meter Fahrt zu den Wasserfaellen. Eine Strasse fuehrt zunaechst durch Creston Hill, dem Las Vegas von Kanada. Casinos, Grusel-Kabinette, Fudge-Fabriken, Theater, Shows und Glitzer-Glitzer.

Das Navi zeigt an: Noch 300 m. Schock. Aber das ist die Realitaet. Eine Rechtskurve am Ende von Creston Hill und da sind sie: Die Niagara Faelle am Niagara River. Nichts mit Natur pur. 

Dennoch sind die Wasserfaelle an sich beeindruckend. Auch wenn man meiner Ansicht nach die kitschige Beleuchtung der Faelle im Dunkeln weglassen koennte. Aber auch hier sieht man wieder ein Parade-Beispiel, was der Tourismus aus einigen Orten macht.

Die Stimmung bei den Maple Leafs im Stadion war weniger grandios als erwartet - auch hier erkennt man mal wieder die kanadische Bescheidenheit und Zurueckhaltung. Dennoch war es toll, ein Eishockeyspiel, den Nationalsport Kanadas, live zu erleben.

 

Die naechsten Tage werde ich mir, je nachdem wonach mir ist, die verbleibenden Sehenswuerdigkeiten dieser vielseitigen Stadt anschauen. Seen, Parks, nach Nationen geordnete Stadtviertel (Little Italy, Little India, Greek Town etc.), Museen, Kirchen, Wissenschaftszentrum, Parlamentsgebauede, Rathaus, Waterfront, Stadien und und und. Suche und finde!

 

Am Donnerstag war ich fuenf Stunden im Science Center - von der Simulation eines Tauchganges ueber den Herzschlag eines gesunden im Vergleich zu einem kranken Menschen, ueber das Steuern eines Raumschiffes, ueber das Messen der eigenen Reaktionszeit, ueber die Erlaeuterung von Galaxien und der Entstehung des Universums, bis hin zur Darstellung des Alterungsprozesses der eigenen Person anhand einer Gesichtsaufnahme habe ich vieles gelernt. Nachdem ich das Foto gesehen habe, wie ich angeblich mit 60 Jahren aussehen werde, habe ich mir schnell eingeredet, dass das nur Quatsch sei. Ein wahnsinnig interessantes Zentrum, in dem ich drei Tage verbringen koennte und das mit den vielen Moeglichkeiten des Sehens, Anfassens, Riechens und Erlebens wie fuer mich gemacht ist.  

 

Abends war ich mit Anja bei einem Social Drum im First Nation Community Center - als die offensichtlich einzigen "Weissen" bei diesem Zusammenkommen kamen wir uns etwas fehl am Platz vor. Neben kostenlosem Essen (das schien fuer viele der Grund zu sein, hierherzukommen), wurde sich ausgetauscht, getrommelt und ein wenig getanzt. Vielen der Ureinwohner steht die Kulturberaubung, die Perspektivlosigkeit, die Alkohol- und Drogenprobleme und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Das sollte man natuerlich nicht pauschalisieren, aber die Begegnungen, die ich bis jetzt haben durfte, waren grossteils von diesem Muster gepraegt. Ein schwieriges und komplexes Thema, das keine einfache Loesung bereithaelt. Wie sollen mehrere Jahrhunderte Unterdrueckung und Kulturberaubung (Verbot der eigenen Sprache und Feste) durch simple Annaeherungsversuche in ein paar Jahren verschwinden?

 

Am Mittwoch war ich in der Casa Loma, einem edwardianischem Schloss mitten in Toronto aus dem Jahr 1914, das damals die groesste private Residenz Kanadas (18.500 Quadratmeter) war. Dank eines sehr ausfuehrlichen und informativen Audioguides habe ich mir gute vier Stunden jegliches grossteils original erhaltene Schlaf-, Bade- und Arbeitszimmer, die Terrasse, die unterirdischen Gaenge, die Zimmer des Personals, das Gartenhaus, den Wintergarten und den Pferdestall angeschaut. Danach hatte ich das Gefuehl, ich habe mit der Familie Pellatt dort gelebt. 

 

Dann habe ich noch das neue und das alte Rathaus besichtigt, wobei das alte Rathaus heute ein Gericht ist, in dem ich unbeabsichtigt in einer Verhandlung zu einer "alkoholisierten Gewalttat" auf Torontos Strassen gelandet bin. Passiert auch nicht alle Tage.

 

Das waren nur ein paar von unzaehligen Beispielen dieser vielseitigen Stadt - Toronto ist jeden Besuch wert und gefaellt mir aehnlich gut wie Vancouver. Ich koennte keine Entscheidung treffen, in welcher Stadt ich lieber leben wuerde.

Fuer jetzt freue ich mich erstmal daran, dass ich noch vier verbleibende Monate in diesem Traumland verbringen darf und bin gespannt auf das, was noch vor mir liegt.

Fuehlt euch gedrueckt.

 

Ganz liebe Gruesse von eurer Lotti.