Ahoj!

Wer ist sie? Die Stadt, dessen Anfänge bis ins 5./6. Jahrhundert zurückreichen? Die Stadt mit den zahlreichen roten Ziegeldächern? Mit imposanten Bauten von Romanik über Gotik, Renaissance, Barock und Jugendstil bis hin zu modernem Kubismus? Mit komplizierten Straßennamen, die sich für uns identisch anhören? Mit einem ausgebauten Netz an niedlich rot-weißen Straßenbahnen, die zwischen den Flussufern hin- und herpendeln. Mit Betonklötzen neben prunkvoll mit Gold ausgestatteten Kirchen? Mit heruntergekommenen mit Graffiti besprühten Hauswänden neben neoklassizistischen, künstlerisch-detailliert ausgearbeiteten Häuserfassaden?


Wer ist diese Stadt am Fluss gelegen, mit grünen Parks und großen Plätzen, die an Kriegsgeschehen und an die Opfer kommunistischer Herrschaft erinnern und gleichzeitig Symbol der Unabhängigkeit sind? Wer nennt das Pilsner Urquell sein Zuhause? Wer serviert Gulasch und Kartoffelknödel in dicken Scheiben zu jeder Tageszeit, ob süß oder salzig?

 

In welcher Stadt befindet sich die älteste erhaltene Synagoge Europas? Wer ist sie, die Hauptstadt des Landes, das sich flächenmäßig über die drei historischen Kronländer Böhmen, Mähren und Schlesien erstreckt? Die Stadt, dessen Geschichte so wesentlich von den sogenannten Hussitenkriegen geprägt ist? (Die Hussitenkriege sind nach dem Reformator und Theologen Jan Hus benannt, der seine Lehre auf dem Konzil von Konstanz nicht widerrufen wollte und folglich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, was als Auslöser für diverse gewaltvolle Aufstände galt).

 

Welche ist die Hauptstadt des Landes, das nach dem Zerfall des Habsburger Reiches 1918 zur sozialistischen Republik ernannt wurde? Wer ist seit 1993 die Hauptstadt des Landes, das seit eben diesem Jahr losgelöst von der Slowakei lebt? Die Stadt, die in 22 Bezirke unterteilt ist, von denen die Neustadt in die Altstadt und die Altstadt in das jüdisches Viertel übergeht? Die Stadt, die mit knapp 1,3 Millionen Einwohnern ausreichend Menschen hat, um zu pulsieren? Die Stadt, die Touristen aus aller Welt anzieht, die an Orten wie dem Altstädter Platz versuchen, drei Kulturepochen gleichzeitig auf der Linse festzuhalten?

 

Wie heißt diese Kulturmetropole, die unzählige Möglichkeiten für Kunstinteressierte, Filmeliebhaber, Jazzfanatiker und Theatergänger anbietet? Die seit den 1960ern internationales Ansehen durch Schwarzes Theater erlangt hat, einer Mischung aus Pantomime, Puppenspiel, Akrobatik, Musik und Schwarzlichteffekten?

 

In welcher Stadt kann man sich für 123 € die Stunde in einem Oldtimer durch das Zentrum kutschieren lassen? Wie lautet der Name der Stadt, die ohne die zwei bedeutenden Architekten Peter Parler und Christoph Dientzenhofer nicht sie selbst wäre? Wer ist diese schöne Unbekannte, der Karl IV den Status als Zentrum des Reiches vermachte? Die Stadt, in der die im Kern gotische von 30 barocken Skulpturen gesäumte zweitälteste Brücke Europas den Namen von Karl IV trägt?

 

Wer verkauft an jeder Straßenecke Trdelnik, ein mit Zucker umhülltes Teiggebäck, wahlweise mit Vanillecreme, Schokolade, Eis, Apfelkompott oder Blaubeermarmelade? Welche Stadt fordert zum Schwarzfahren auf, da sich an vielen Straßenbahn-Stationen keine Ticketautomaten befinden? Wie heißt die Stadt, die durch warm-sanftes Laternenlicht eine gemütliche Stimmung zum Wohlfühlen schafft? Die Stadt, die mit urig-rustikalen Restaurants und Bars Tradition aufrecht erhält?

 

Wer ist die Schönheit mit der Moldau im Zentrum und hügeliger Landschaft mit traumhaften Blicken über die Stadt? Die Stadt, dessen beeindruckende historische Sehenswürdigkeit ein Burgareal umfasst, das auf das 9. Jahrhundert zurückgeht und seither Sitz von Kaisern, Königen, Kardinälen und seit 1918 dem Staatspräsidenten ist?

 

Wer kennt die Stadt eines Landes, in dem man mit „Ahoj“ grüßt und sich mit „Na slehdanou“ verabschiedet., in der die Tschechen mit einer etwas reservierten, an Touristen wenig interessierten Art Nationalstolz und Heimatgefühl ausstrahlen? Welche Stadt zählt ein sogenanntes Tanzendes Haus zu seinen außergewöhnlichen Bauwerken, da es wie auf Stelzen zu tanzen scheint?

 

Wer ist sie? Die Stadt, dessen astronomische Uhr weltweit bekannt ist, unter anderem da sich über der Uhr am Rathausturm zu jeder vollen Stunde zwei blau-weiße Fensterchen öffnen, an denen Christus und die zwölf Apostel zu Begleitmusik vorbeiziehen?

 

Welchen Namen trägt die Stadt der 1.000 Türme, die einen dank vielen original erhaltenen historischen Gebäuden in alte Zeiten versetzt? Die Stadt, die ein modernes Leben auf attraktive Weise in Tradition und Geschichte einbettet? Wer ist sie? Diese Stadt, die jeden Besuch wert ist!

 

Jaaaa, es ist Prag!

 

Die letzten drei Tage haben Oma und ich diese vielseitige Stadt erkundet, zu Fuß und mit der Straßenbahn – stets von strahlendem Sonnenschein begleitet. So viele Eindrücke, so viel Begeisterung, wie ihr meiner in Fragen formulierten Einleitung entnehmen könnt. :-)

 

Nachdem ich Oma zugemutet hatte, mit dem Nachtbus nach Prag zu fahren (Was sie absolut großartig gemeistert hat), sind wir am Sonntag Nachmittag in unserem Hotel angekommen. Der Betonklotz war von innen sehr nett und sauber und 15 Minuten vom Stadtzentrum entfernt gelegen. Oma und ich sind vom Aktivitätsgrad ähnlich – Lange hält uns nichts im Hotel. Kurzes Auspacken und Frischmachen und ab ins Zentrum. And here we go: Drei Abende und zwei volle Tage Sightseeing. Natürlich haben wir hier und da ein Cappuccino für die müden Beine und einen „Verarbeitungsstopp“ des Gesehenen eingelegt. Aber Respekt: Nicht jede 80-jährige Dame würde eine derartige Stadterkundung durchhalten und dabei noch genießen können. Abends haben wir uns immer ein nettes Lokal gesucht, um die traditionelle tschechische Küche zu kosten – deftig, schwer, aber durchaus lecker (nur eben nicht dauerhaft! :-)). Gestern Abend waren wir nach dem Genuss von Forelle und einer altböhmischen Zwiebelsuppe in einem schwarzen Theater, wie zuvor beschrieben, einer Pantomime-Schwarzlicht-Darbietung, in unserem Fall mit einer Geschichte aus Afrika kombiniert. Das beeindruckende an dieser Show war nicht die Geschichte an sich, sondern die spezielle ultraviolette Lichteinstrahlung auf die Tänzer, die sich akrobatisch in  neonfarben akzentuierten Kostümen vor einem schwarzen Samtvorhang bewegt und auf diese Weise künstlerische Tier- und Pflanzensymbole dargeboten haben, mal schwebend, mal gleitend, mal springend. Schwer in Worte zu fassen – das Foto sagt wahrscheinlich mehr. :-) Aus dem japanischen Puppenspiel entstanden, wird die Entstehung des traditionellen Schwarzen Theaters Prag zugeschrieben und ist daher hier sehr weit verbreitet.

 

Da Oma und ich uns gegen jegliches „Tourprogramm“ entschieden haben, um unsere Zeit flexibel und individuell zu gestalten, haben wir nun das Gefühl, uns wunderbar in Prag orientieren zu können. Eine Stadt zu Fuß zu erkunden und sich die Wege selbstständig auf einer Karte zu erschließen, ist nach wie vor meine bevorzugte Art, eine Stadt kennenzulernen. Auf dieser Weise erlangt man bereits nach kurzer Zeit ein Gefühl für die Stadt – orientierungstechnisch, aber auch von den Menschen und dem Leben auf den Straßen.

 

Falls euch meine absoluten Highlights der drei Tage interessieren, lest gerne weiter:

- Die Karlsbrücke und die Spiegelung der abendlichen samtgelben Lichter der

  umliegenden Gebäude in der Moldau

- Der St. Veits Dom als dominantes Baukunstwerk auf dem Areal der Prager Burg

  Die drei Stilepochen Gotik, Renaissance und Barock machen dieses gewaltige

  Gebäude, dessen Bau im 14. Jahrhundert begann und bis ins 20. Jahrhundert

  hineinreichte, zu einem einmaligen Ensemble von architektonischer Vielfalt.

  Mit 99 m hohen Türmen prägt der Dom Prags Stadtbild auf unverkennbare Weise.

- Die Blicke über die alte Stadtmauer und die Stadt von dem Burgberg und der

  nationalen Gedenkstätte Vysehrad

- Der Blick über die Stadt von der Burgrampe der Prager Burg 

- Die vielen netten  Cafés, Restaurants in den kleinen Gassen der Altstadt, u.a. in der

  Husova, Zláta und der Karlsgasse

- Die bunten Häuserfassaden im Renaissance- und Jugendstil, die ganz Prag

  schmücken

 

Ich konnte natürlich auch auf dieser Reise nicht davon ablassen, eine gewisse Reiseleiter-Eigenschaft an den Tag zu legen und auf interessante historische und architektonische Fakten (mit Hilfe meines angeeigneten Wissens) hinzuweisen. :-) Aber das Schöne ist, dass Oma ähnlich wie ich sehr interessiert an allem ist und Hintergrundwissen zu einem Reiseerlebnis „unserer“ Art für uns Beide dazugehört. Wir fühlen wir uns erfüllt von Erlebnissen, Begegnungen, Sehenswürdigkeiten und Geschichten in und über Prag.

 

Was für ein unvergesslicher Trip!

 

Hier gibt es ein paar Bilder für euch:

https://goo.gl/photos/ymEspkbXSaKt1dQK6

 

Liebe Grüße und na slehdanou!

Eure Lotti