Tadschikistan - Von dem Pamir Highway, persischen Gesichtern, Brotbacken, Festungsanlagen und Afghanistan

T = Tourismus in der Entwicklungsphase

A = Auf Rahmon, Tadschikistans Präsidenten!

D = Dushanbe, eine moderne Hauptstadt mit deutscher Schule und Cappuccino

S = Salam, auch hier das verbreitete Grußwort!

C = “Cheyly Choschmase Bud!” = ”Es war sehr lecker!”

H = “Hamburg? Wir kennen nur Gamburg!” (H wird hier wie G ausgesprochen)

I  = Izvinite (= Entschuldigung)! Russisch geht immer!

K = Kurutob, ein nationaler Gaumenschmaus!

I  = Islam als vorrangige Religion

S = Sowiet Union , seit 1991 unabhängig

T = Toiletten? Fehlanzeige!

A = Afghanistan auf den Fersen, ein Nachbarland voll Schrecken

N = Na gut, kurz gefasst: Tadschikistan, ein Besuch wert!

Drei Wochen war ich nun in dem Land, das jeder Zweite auf der Landkarte sucht, bevor er wissend nickt: “Jaja, Tadschikistan.” Und zugegeben, so auch ich. Denn vor zwei Monaten wusste ich zwar, dass es einige “-stan”-Länder gibt, die ehemals zur Sowjet Union gehörten und heute einen Teil Erde im asiatischen Raum einnehmen, aber welchen Teil genau hat man mich besser nicht gefragt. Doch nicht nur bei der Frage nach der Lage hat sich ein Fragezeichen vor mir aufgetan. Genauso bei der Frage nach der Kultur, nach der Bevölkerung, den Menschen, der Sprache, der Landschaften. Blanko.

Doch was ich euch jetzt erzähle, ist eine Liebeserklärung an ein Land, das mich mit seiner Gastfreundlichkeit und der einfachen Lebensweise seiner Menschen jeden Tag aufs Neue verzaubert. Um es kurz vorwegzunehmen: Ich könnte mir nicht vorstellen, hier zu leben (höchstens in der Hauptstadt Dushanbe), da ich als gebürtige Deutsche, die mit Toilettenspülung statt Löchern in der Erde, einer Verkehrsordnung und frischen Lebensmitteln aufgewachsen ist, Schwierigkeiten habe, langfristig auf diesen Komfort zu verzichten.

Aber als Schnupperabenteuer ist dieses Land großartig. Nicht zuletzt, um zu realisieren, dass ein Leben ohne fließend Wasser, ohne Toilette, ohne Bett, ohne Fernseher, Internet, Handy, ohne Schokolade und ohne all den anderen Luxus, auch glücklich machen kann. Voelleicht sogar glücklicher? Es ist alles eine Frage der Perspektive. Und der Erfahrung. Wie kann jemand, der noch nie einen Fernseher gesehen hat, “Wer wird Millionär” auf RTL vermissen? Und warum sollte jemand von einem Bett träumen, wenn er seit 50 Jahren auf demselben Boden in demselben Dorf, dessen Grenzen er noch nie verlassen hat, schläft? Ich habe großen Respekt vor der Lebensweise der Tadschiken. Respekt, kein Mitleid. Denn Mitleid ist vor dem Hintergrund, dass die meisten Menschen kein anderes Leben kennen und ihre Gesichter eine tiefe innere Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlen, unangebracht.

 

Osh (Kirgistan) nach Murghab (Tadschikistan) – 350 km, 11 Stunden, no comment! Mitten rein ins Pamir Gebirge mit Berggipfeln bis zu 7.495 m, dem Ismail Somoni. Mehrere Bergpässe ziehen die Fahrt in die Länge und machen sie gleichzeitig atemberaubend. Schnee, Eis, die Straßenverhältnisse lassen zu wünschen übrig. Ich bin in diesem Moment sehr dankbar, einen guten Fahrer am Steuer zu haben. Er wirkt gewissenhaft. Und die plötzliche 270 Grad-Drehung nach ca. 100 km war schlichtweg eine kleine Showeinlage. Oder nicht?

 

Zu dieser Jahreszeit ist es schwierig, andere Reisende zu finden, die sich einen Fahrer bzw. ein Auto mit mir teilen. Aber immerhin hat sich ein anderer Einheimischer gefunden, um die Kosten etwas aufzuteilen. Natürlich musste ich zehnfach so viel bezahlen wie der Tadschike. Wie im letzten Blogeintrag erwähnt, müssen die Fahrer an den sogenannten „Checkpoints“ für jeden Touristen, den sie transportieren, 200 SOM (2,50 Euro) bezahlen. Und da man nicht wisse, wie viele Checkpoints einen erwarten, sorge man lieber vor. Das ist meine Interpretation. Ich frage mich jedoch, wie die Extra-Kosten für Touristen auf all den anderen Bereichen zu begründen sind. Schwarz-Weiß-Erklärung von Tadschikistan: Touristen sind wohlhabend. Museumsbesuche, archäologische Stätten, Hot Springs und so weiter kosten für uns einfach mehr. Lediglich für die lokalen Busfahrten und für den Kauf von Lebensmitteln wird uns nicht mehr abgeknüpft. Wenn man die Preise jedoch in Relation sieht, bietet diese Tatsache keinen Grund, sich aufzuregen. Denn 1 Somoni (Tadschikistan) für Locals und 10 Somoni für Touries, sind 0,15 Euro zu 1,45 Euro. Das ist zu verkraften und ist festgeschriebenes Gesetz in diesem Land. Kein Spielraum zum Verhandeln. Sogar der Lonely Planet listet diese unterschiedlichen Preise auf. Also akzeptieren und Schwamm drüber.

 

Die Fahrt war abgesehen von der holprigen Straße sehr sehr schön. Es ist schwer, sich an den schneebedeckten Gipfeln und den stetig wechselnden Bergformationen sattzusehen. Ich bin extra früh ins Bett gegangen, um auf dieser spektakulären Fahrt nicht müde zu werden und die Sicht bis ins kleinste Detail genießen zu können.

Die Grenzüberquerung war unproblematisch. Sowohl das Verlassen von kirgisischem Gebiet als auch das Betreten von Tadschikistan wurde von lockeren Worten und lächelnden Gesichtern begleitet. Der Fahrer schien jeden Grenzbeamten persönlich zu kennen. Nicht verwunderlich, wenn man seinen Reisepass genauer studiert. Schätzungsweise 300 Stempel von der Ein- bzw. Ausreise nach bzw. aus Tadschikistan und Kirgistan. Das ist sein Job. In seinem Reisepass (und in seinem Leben) ist kein Platz für ein anderes Land.

Während unserer Fahrer ein Klönschnack mit den Grenzbeamten gehalten und eine geraucht hat, habe ich den gefrorenen Schnee genutzt und mich im Eislaufen probiert. Zu der Freude aller Zuschauer.  

 

Fasziniert hat mich die Veränderung der Gesichter von dem einen zu dem anderen Land. Ich hatte das Gefühl, es war der Übergang von Asien nach Europa. Die asiatischen Augen der Kirgisen wurden innerhalb weniger Kilometer von persischen großen Augen und Nasen abgelöst. Die kleinen, runden Frauen wurden zu großen schlanken Damen. In den nächsten Tagen hatte ich einen stetigen Vergleich, da das Pamir Gebirge in Tadschikistan neben Tadschiken von vielen Kirgisen bewohnt wird.

Tadschikistan war früher ein Teil des Perserreiches und ist folglich, anders als Kirgistan, kein turkmenisch-sprachiges Land. Russisch ist jedoch auch hier weit verbreitet. Mittlerweile kann ich sogar den Unterschied zwischen Russisch, Tadschik (Persisch) und Kirgisisch leicht erkennen. Vom Verstehen bin ich jedoch nach wie vor weit entfernt.

 

In Murghab angekommen, bin ich in dem einzigen Homestay, das zu dieser Jahreszeit noch in Betrieb ist, untergekommen. Eisig kalt, da auf 3.800 m gelegen und der Heizofen ein Weilchen brauchte, um den Raum aufzuwärmen, habe ich mich unter Decken gekuschelt und ein vegetarisches Plov (Reisgericht mit Karotten und Zwiebeln) genossen. In Tadschikistan wird nur halb so viel Fleisch wie in Kirgistan konsumiert, was meinen Magen den einen oder anderen Freudentanz aufführen lässt. Ich war zwischendurch schon der festen Überzeugung, ich würde nach diesen zwei Monaten zu einer strikten Vegetarierin konvertieren. Das ist immer noch nicht gänzlich ausgeschlossen.

 

Selbst das tadschikische Nationalgericht Kurutob wird auf einer vegetarischen Basis zubereitet. Optional mit Schafs- oder Rindfleisch erhältlich. Das vegetarische Original ist bis dato mein Favorit. Es besteht aus einem hauchdünnen warmen Brot, das in saurer Jogurt eingelegt wird und mit Tomaten und Zwiebeln als Topping gereicht wird. Yummy.

Am nächsten Tag bin ich, von neugierigen Gesichtern begleitet, durch das wüstenartige Murghab gelaufen und habe mich anschließend von einem privaten Fahrer zu der etwa 25 km entfernt liegenden Höhle, die von Piktographen (=Steinmalereien) “geschmückt” ist, fahren lassen.

Von dem Moment an, als der Fahrer von der Hauptstraße nach links abgebogen ist, wurde es spannend. Wie der Fahrer wusste, wo er genau langfahren muss, ist mir bis heute ein Rätsel. Ohne Straße, ohne Schilder, Berge links und rechts, mitten durch ein schätzungsweise 3 km breites Tal. Ein bisschen Schlittern hier, ein bisschen Schlittern dort. Es soll ja nicht langweilig werden. Zum Glück haben die meisten Autos, die in den Berglandschaften Tadschikistans verkehren, Vierradantrieb. Anders wäre das Vorankommen hier kaum möglich.

 

Mitten im Nichts hat er plötzlich gestoppt und nach rechts auf einen Berg gezeigt und symbolisiert, ich solle dort hinauf laufen. Artig wie ich bin, habe ich seiner Anweisung gefolgt und siehe da: Ein Blick zurück und sein Auto hatte Spielzeuggröße. Ein Blick nach vorne und ein Höhleneingang mit ein paar ockerroten Felszeichnungen. Und ein riesiges Geweih von einem heiligen Marco Polo Schaf, von dem es im Pamir Gebirge ca. 24.000 gibt. Das massive Geweih dieser Schafsart wird für die Herstellung von Küchenutensilien und Schmuck verwendet. Eine Lizenz für das Jagen der Marco Polo Schafe ist unbezahlbar. Touristen zahlen 60.000 USD für eine Jagdexkursion von mehreren Tagen. Verrückt. Das Marco Polo Schaf ist der Stolz der Tadschiken. Es wird überall erwähnt und aufgestellt, ob ausgestopft oder aus Stein gebaut.

 

Nach dem Höhlenbesuch bin ich weiter nach Alichur gefahren, ebenfalls einem Ort in den Pamirs. Hier bin ich bei einer Familie mit vier Kindern untergekommen, die mich neugierig gemustert und mehrere Anläufe vernommen hat, sich mir anzunähern. Hier war ich genau richtig, um mich handwerklich zu betätigen. So habe ich mit der ältesten Tochter und der Mama Brot gebacken, großteils mit Zeichensprachen – Gesten sagen manchmal mehr als Worte. Brote trifft es eher. Wenn gebacken wird, dann richtig. Die als Feuerholz dienenden mühsam gesammelten trockenen Wurzeln und Sträucher sollen ja nicht verschwendet werden und wenn der Steinofen draußen einmal heiß ist, muss man das nutzen. Ich würde mir später auch gerne einen Steinofen für die Terrasse anschaffen. Das hat so etwas Rudimentäres und Echtes! 

 

Im Gegenzug zum Brotbacken, habe ich mir von der Mama beim Stricken helfen lassen. Denn ich scheine meine zuvor vorhandenen Strickkenntnisse (sorry Elli und Omi – Ich weiß, ihr habt euch viel Mühe mit mir gegeben!)  in Deutschland gelassen zu haben. Mein Glück, dass gefühlt jede Frau in Tadschikistan dem Handkunstwerk Herr ist. So auch die freundliche Mutter des Hauses, die mir mit viel Geduld erneut die Grundtechnik vermittelt hat. Nun ist mein Stirnband für meine kleine Nichte, die in ca. sechs Wochen das Licht der Welt erblicken wird, fertig.

 

Alichur war ähnlich wie Murghab in einer Stunde zu erkunden, denn mehr als hundert Häuser, einer Schule, einem kleinen Laden und einem “Krankenhaus”, wenn man es so nennen kann, gibt es hier nicht. Das muss es auch nicht. Denn der Fluss und die gigantischen Berggipfel, die diese Städte in den Pamirs einhüllen, rauben einem den Atem. Unabhängig von der Höhe.  

Es hat sich schwieriger gestaltet als erwartet, ein Auto bzw. einen Fahrer zu finden, der mich in die nächst größere Stadt Khorog bringt. Wenn ich eines in Tadschikistan gelernt habe, dann ist es das: Verlasse dich nicht auf stetige Transportmöglichkeiten. Wenn kein Auto in die Richtung fährt, fährst du wohl auch nicht in die Richtung. :-) Bzw. organisiere dir einen privaten Fahrer für die gesamte Reise – Dann bist du unabhängig von der Suche nach einem geeigneten Fahrer. Und dank CBT (community based tourism) gelangt man an vertrauenswürdige, ausgebildete Fahrer – Eine großartige Unterstützung auf jeder Ebene, wenn es um das Reisen in Zentralasien geht!  

 

Nachdem ich nach sechs Stunden in Khorog angekommen bin, habe ich in einem kleinen Hotel eingecheckt, das von der Freundlichkeit des netten alten Besitzers lebt, der nicht aufhören konnte, Deutschland in höchsten Tönen zu loben (“Germania, super! Germania, Germania!”). In dem Hotel gab es eine kleine Gemeinschaftsküche, die ich zum Kochen genutzt habe. Herrlich, lokale Produkte auf dem Markt einzukaufen und frisch zuzubereiten. So viele unbekannte Kräuter, ein Paradies für meinen Experimentiergeist. Und dass die Nudeln in Tadschikistan nur 5 Minuten kochen müssen, weiß ich nun auch.

 

Khorog ist meine Lieblingsstadt in Tadschikistan. Super schön am Fluss gelegen, von traumhaften Bergen umgeben, entspanntes Flair, ein kunterbunter Bazar, eine Mischung aus Zivilisation und Ursprünglichkeit, mehr englischsprachige Menschen als in jedem anderen Ort Tadschikistans (sogar mehr als in der Hauptstadt Dushanbe) und Ausgangsort für spannende Orte in der näheren Umgebung. 

So habe ich zum Beispiel von hier aus drei Tage das Wakhan Valley im Süden Tadschikistans erkundet. Nur durch den Wakhan Fluss von Afghanistan getrennt und mit Blick auf eine Bergkette Pakistans hatte ich zwischenzeitig das Gefühl, in drei Ländern gleichzeitig zu sein. Um die Frage, ob ich mich sicher und wohl gefühlt habe, vorwegzunehmen: Natürlich fällt es schwer, nicht an die Unruhen in Afghanistan auf der anderen Seite des Flusses zu denken und jede bewaffnete Soldatengruppe ruft ein mulmiges Gefühl hervor. Ich fand es vor allem interessant zu hören, wie die Tadschiken ihre Beziehung zu Afghanistan beschreiben, sofern ich das aufgrund der beschränkten Verständigungsmöglichkeit verstanden habe. Auf meine Frage “Afghanistan good or niet?” habe ich jedenfalls ein wildes Kopfschütteln, begleitet von der Nachahmung von Waffengefechten und Schussgeräuschen erhalten. Eine Spannung ist vorhanden. Aber keine bedrohliche akute Situation. Sonst wäre ich natürlich nicht hier. Es war unsicherer, auf den Mauern des Yamchum Forts zu klettern, da die Steine unter meinen Füßen nur so weggebrochen sind.

 

Nach der beeindruckenden Besichtigung des Yamchum Forts habe ich den Tag in dem naturbelassenden Thermalbad Bibi Fatima ausklingen lassen. Ich wusste nicht genau, was mich erwarten würde. Ich hatte gehört, dass viele Frauen die Hot Springs besuchen, da es ihre Fruchtbarkeit verbessern soll (wie der Name bereits preisgibt). Ein Plattenbau im russischen Stil am Ende eines Sandweges, ca. 2 km von meinem Homestay für die Nacht entfernt. Dunkel beleuchtete Umkleidekabinen und ein paar Stufen, die hinab in ein Sulphat-Höhlenbecken führten, das schätzungsweise 40 Grad Celsius hatte. Männer und Frauen getrennt. Es war im Voraus unmöglich, herauszufinden, ob man wohl in Bikini oder nackidei in die Hot Springs geht. Ich habe meinen Bikini vorsichtshalber angelassen. Ich wurde eines besseren belehrt. Mit einem beschämten Blick haben die zwei nackten tadschikischen Frauen und ich uns angelächelt. Nächstes Mal! 

 

Nachdem ich meinen kleinen Schwindelanfall nach dem heißen Bad hinter mir hatte und ich aufgewärmt zurück zu meinem Homestay gelaufen bin, wusste ich noch nicht, dass ich die kälteste Nacht der gesamten Reise vor mir habe. Bei einer herzlichen und bemühten Familie ohne ein Wort Englisch, die mir eine kleine mobile Heizung, die ungelogen aussah, als wäre sie von 1950, in meinen Raum gestellt hat. Dieses uralte Modell ist schwer gegen die schlecht isolierten Wände und den eisigen Wind von draußen angekommen. Ich habe gezählt: Nicht nur die Stunden, bis der Morgen anbricht, sondern auch die Decken, unter denen ich geschlafen habe: 9! Denn an Decken mangelt es in den Homestays nun grundsätzlich nicht. Ich hätte das Gewicht der Decken, das auf mir lastete, gerne gewogen. Ich kann nur so viel sagen: Jedes Drehen und Wenden war eine kraftvolle Betätigung für die Arme und Beine. Von dieser Nacht werde ich wohl noch meinen Enkelkindern unter bibbernden Zähnen erzählen. Ich sehe es mit Humor – ich habe mich freiwillig auf das Übernachten in Homestays entschieden.

 

Die Höhe macht mir grundsätzlich wenig zu schaffen. Durch meine vielen Reisen, nicht zuletzt in Südamerika, scheint sich mein Körper daran gewöhnt zu haben.

Nach der kalten Nacht habe ich versucht, per Anhalter nach Khorog zu fahren. Mein Gastvater hat mich von seinem Lehmhaus 8 km zur Hauptstraße zurückgefahren und mich im nächsten Dorf abgesetzt. Erneut war das Fahren per Anhalter mit einer fünfstündigen Wartezeit auf der sandigen “Hauptstraße” des Wakhan Tals verbunden. Was mir eine Bekanntschaft mit einem Englischlehrer in dem Dorf möglich gemacht hat. Der Lehrer (dessen Namen ich leider vergessen habe) ist noch nie außerhalb des kleinen Dorfes gewesen, hat sich Englisch selbst beigebracht und verdient 100 USD im Monat.

Er hat mich zu sich nach Hause eingeladen, von wo man hörte, wenn ein Auto vorbeifuhr. Insofern war die Einladung eine angenehme Abwechslung zum Warten auf der Straße, dem Betrachten der Schulkinder, der goldgelben Blätter im Wind und der Kühe, Schafe und Ziegen, die neugierig ihre Nase in meinen Rucksack steckten.

Mir wurde natürlich, wie immer, Brot und Tee gereicht. Diesmal jedoch der in Tadschikistan weit verbreitete salzige Frühstückstee, den ich trotz angestrengtem Versuchen nicht herunterbekommen habe. Mir blieb nichts anderes übrig, als es ehrlich zu sagen, was mir sehr unangenehm war. Aber wenn ich mich auf den Tisch übergeben hätte, wäre es auch aufgefallen. :-) Ich habe den Lehrer nebst tausend anderer Dinge gefragt, wie sie die im Dorf frei herumlaufenden Schafe, Ziegen und Kühe ihrem Besitzer zuordnen können, da sie in meinen Augen sehr ähnlich aussehen. Falsch. Es gebe es massive Unterschiede. Der weiße Fleck hinter dem linken Ohr seiner Ziege ist um 1 mm größer als bei den anderen Ziegen. Und seine drei Kühe haben einen anderen Gang als die restlichen Kühe im Dorf. Auch das erklärt sich von selbst. Vielleicht haben wir westlichen Stadtmenschen einfach nicht den Blick dafür. Interessant fand ich außerdem zu erfahren, dass es eine rotierende Aufsichtspflicht in Tadschikistans Dörfern gibt. Da es zur guten Sitte (und zum Überleben) gehört, sowohl Schafe, Ziege als auch Kühe zu halten, ist es nur fair, dass jeder mal dran ist. Zu der Aufsichtspflicht zählen das Beobachten der Tiere und das Begleiten zu Futterstellen. Folglich ist Fasny am Montag verantwortlicher Hirte des Dorfes, Hasnidin am Dienstag und so weiter. Macht absolut Sinn und ist dennoch eine Welt, die fast so fremd wie das Leben auf dem Mars erscheint. Aber das ist die Realität hier, das wahre Leben von all den Menschen, die nicht in den drei großen Städten Tadschikistans leben.

 

Als ich nach dem Tee und Brot eine weitere Stunde auf der Straße gewartet und den Englischlehrer Löcher in den Bauch gefragt habe, kam überraschenderweise ein Jeep vorbei. Vollgepackt. Mit zwei Weißen im Gepäck! Yvonne und Matthias. Sie haben nicht angehalten, weil sie mich mitnehmen konnten (denn sie waren voll beladen), aber sie wollten nett sein und mich nicht ohne ein Wort stehen lassen.  Auch diese Begegnung möchte ich nicht missen:

Yvonne ist eine deutsche TV-Journalistin und Reisebloggerin. Matthias arbeitet seit zwei Jahren in Khorog im Bereich Tourismusentwicklung. Die beiden haben sich auf der Reisemesse in Berlin kennengelernt und einen Barterdeal geschlossen: Yvonne bekommt den Flug bezahlt und schreibt im Gegenzug auf ihrem Blog über ihre Zeit in Tadschikistan, um den Tourismus anzukurbeln.

Wir haben uns in Khorog am selben Abend zum Essen getroffen (ich war zuversichtlich, dass ich im Laufe des Tages noch ein Auto nach Khorog finden würde) und am nächsten Tag war ich noch einen Kaffee mit Yvonne trinken. Super spannende Geschichten!

 

Und tatsächlich hat mich eine halbe Stunde später ein vorbeifahrendes Auto Richtung Khorog mitgenommen. Der Englischlehrer hat mir bei den Preisverhandlungen mit dem Fahrer geholfen. Wir haben uns auf 20 USD für die viereinhalb Stunden Fahrt geeinigt. Auf dem Weg haben wir natürlich nicht eine, zwei oder drei, sondern acht Personen eingesammelt, bis selbst der Kofferraum voll war (mit Menschen!) und ich eingequetscht zwischen einer tadschikischen Großfamilie saß. Das muss man alles einmal erleben, um bei einer Wiederkehr alle Möglichkeiten gegeneinander abwägen zu können und zu wissen, wie der Hase hinter den Kulissen läuft. Denn die Touristenbrille kann jeder aufsetzen.

 

Es ist schwer vorstellbar, dass ich hier gerade in einem Café in Dushanbe sitze und einen Cappuccino schlürfe (mit wunderbar cremigen Milchschaum!) und viele der noch so nahegelegenen Dörfer keinen Zugang zu fließendem Wasser oder Strom haben. Hier liegen Welten zwischen Kilometern. Das klingt hart, aber ist die unbeschönigte Realität.

Dushanbe gefällt mir sehr gut. Ich bin in einem super schönen Hostel gelandet, so sauber und gemütlich, wie ich es auf der ganzen Reise noch nicht erlebt habe. Dort gibt es eine Gemeinschaftsküche, in der ich schon das ein oder andere Mal gemeinsam mit zwei Pärchen, die Zentralasien auf Fahrrädern bereisen, gekocht habe. Mit Zelten und Gaskocher im Gepäck ist das englische Pärchen bereits seit einem Jahr auf Rädern unterwegs und hat entsprechend das ein oder andere Abenteuer erlebt. Neue Inspirationen sind immer gut! Aber keine Sorge: Ich werde nicht gleich, wenn ich wieder in Hamburg bin, ins nächste Abenteuer radeln.  

 

Auch in Dushanbe bestehen die öffentlichen Verkehrsmittel aus Kleinbussen (wie in Kirgistan Marshrutkas genannt), “normalen” Bussen, aber vor allem aus privaten Shared Taxis. Jedes Auto scheint ein Schild mit der Nummer 3 oder 8 (je nachdem, welche Route es verfolgt) im Handschuhfach zu haben. Und sobald der Fahrer in eine Richtung unterwegs ist, wird das Schild kurzerhand in die Windschutzscheibe gelegt und Passagiere am Straßenrand eingesammelt. 3 SOM kostet die Fahrt. Das sind umgerechnet etwa 0,50 Euro. Dass die Fahrer keine Lizenz zur kommerziellen Beförderung von Passagieren haben, wird durch ein spontanes Verschwinden Lassen des Schildes von der Windschutzscheibe gehandhabt, wann immer Polizei in Sicht ist. No comment.   

 

Sehr positiv ist mir in den Bussen aufgefallen, dass Männer für Frauen, egal welchen Alters, aufstehen. Das ist ein Zeichen des Respektes. Und das, obwohl ich noch nicht verheiratet bin und keine Kinder habe, was hierzulande in meinem Alter als bemitleidenswert empfunden wird. Ich bin darüber ganz glücklich.

Letzten Samstag war ich in der Oper in Dushanbe. Auf Russisch. Zum Glück lebt Oper vom Gesang, dem Bühnenbild, den Kostümen und der Mimik und Gestik.

 

Die letzten Tage war ich mit Roman, einem Russen, den ich in unserem Hostel kennengelernt habe, am Islander Kul, einem wunderschönen See 2 Stunden nördlich von Dushanbe. Der See spiegelt die schneebedeckten und im Sonnenlicht schillernden Gipfel der umliegenden Berge romantisch wider. Die einzigen paar Häuser, die der See beherbergt, sahen sehr verlassen aus, als wir den See mit einem privaten Taxi erreichten. Wir hatten uns am Morgen in Dushanbe ein Taxi zu einem fairen Preis organisiert. Natürlich hat der Fahrer dennoch gestoppt, als ER hungrig war, aber dafür hat er auch angehalten, wann immer wir Fotos machen wollten. Die Landschaft hier im Nordwesten Tadschikistans ist erneut atemberaubend und toll zu Fuß zu erkunden – aber auch kulturell lässt sich der Teil des Landes sehen. Fast wie ein kleiner Vorgeschmack auf Usbekistan befinden sich hier anders als im Rest des Landes einige Moscheen mit Mosaikkuppeln, Mausoleen und Medresen (Koranschulen). Und wenn ihr mich fragt, was mir in diesem Land am besten gefallen hat, kann ich nur lächelnd antworten. „Die Authentizität und die Andersartigkeit, die Gastfreundlichkeit, die Landschaft, die Ruinen, die Geschichte, die Tradition und und und – Wie so oft ist auch dieses Land eines mit vielen Facetten, an das ich mich noch lange zurückerinnern werde.

 

Ich freue mich nun auf meine Zeit in Usbekistan – Das Land, das stets in Verbindung mit der Seidenstraße gebracht wird. Ein weiteres “-stan”-Land, das landschaftlich und  kulturell kaum mit seinen Nachbarländern vergleichbar sein soll. Und dass man sich auch ja jeden Tag in einem Hostel/Hotel registriert. Für jeden Tag, den man bei der Ausreise nicht nachweisen kann, wo man sich genau aufgehalten hat, muss man tief in die Geldbörse greifen! Gut, dass ich mich stets und immer vorbereite!

Für jetzt sage ich erst einmal “Khodafes” (Persisch: “Tschüss“ und sende euch die liebsten Grüße.

Eure Lotti.