Quebec, Fjorde, Leuchttuerme, Atlantik, -25 Grad, Workaway und Fraenglisch

Ganz liebe Gruesse aus dem winterlichen (oder sollte ich mittlerweile sagen fruehlingshaften) Osten Kanadas! Heute hatten wir +13 Grad, verrueckt fuer diese Jahreszeit. Ich beschwere mich nicht…

Vor drei Wochen habe ich mich von Toronto aus auf den Weg ueber Kingston nach Ottawa aufgemacht. Kingston ist eine kleine, aber feine Studentenstadt, in der ich abends per Zufall in ein Pub-Quiz gestolpert bin. Bei den spezifischen kanadischen Insiderfragen, unter anderem aus dem Comicbereich sah ich wahrlich alt aus gegen die kanadischen Holzfaeller am anderen Tisch, aber Spass hatten wir jede Menge.

 

In Kingston habe ich bei Ian und Robin gewohnt, einem Paerchen, das ich über Couchsurfing gefunden hatte. Die Beiden wohnen  in einem idyllischen Holzhaus am See, „in the middle of nowhere“. 20 Minuten ausserhalb der Stadt, mitten im Wald und im Winter nur zu Fuss erreichbar (10 Minuten Spaziergang vom Parkplatz). Wenn man hier nicht zur Ruhe kommt, wo dann. Traumhaft.

Abends haben wir gemuetlich am offenen Kaminfeuer gesessen, Gitarre gespielt und Erlebnisse ausgetauscht. Die Beiden sind ähnlich wie ich intensive Weltenbummler. Es ist immer wieder bereichernd, Geschichten von Reisenden zu hören.  Morgens habe ich mir ihre Schneeschuhe geschnappt und bin ueber den zugefrorenen See gewandert, fast bis zum anderen Ende (ca. 4 km).

 

Die ersten Tage und Wochen meiner Ostkanada-Tour war es bitterkalt. Kein Vergleich zu jetzt. Es hat Spass gemacht, den kanadischen Winter mit all seinen Facetten und Moeglichkeiten (Schneeschuh-Wandern, Skilanglauf, Schlittschuhlaufen, Winter-Karneval etc.) kennenzulernen. Und wer weiss, vielleicht kommt ja nochmal eine Kaeltewelle. Neufundland habe ich ja noch vor mir.  

Weiter Richtung Quebec habe ich zwei Tage in Kanadas Hauptstadt Ottawa verbracht, die Museumsstadt schlechthin. Hier habe ich unter anderem eine interessante Fuehrung durch das Parlamentsgebauede wie auch durch die Residenz des Generalgoverneurs mitgemacht. Auch die Kunstgalerie, das Naturmuseum und die Royal Canadian Mint habe ich mir nicht entgehen lassen. Letztere ist eine Münzanstalt aus dem Jahre 1908, die auch heute noch handgefertigte Goldmünzen und Sammlerstücke produziert. Man konnte den Herstellungsprozes auf einer Tour live miterleben, was ich sehr beeindruckend fand.

 

Nach den zwei „Kulturtagen“ bin ich bei Julie und Yvon angekommen, meiner ersten Workaway-Erfahrung. Workaway ist ein Online-Portal, auf dem sich jeder, der nach Unterstuetzung in den Bereichen Haushalt, Babysitting, Farmarbeit, Renovierungen oder aehnlichem sucht, registrieren und freiwillige Helfer aufnehmen kann. Andersherum koennen Hilfswillige wie ich das Portal auf der Suche nach Bereichen oder Orten, an denen sie gegen Cost und Logie Unterstützung leisten moechten, nach Gastgebern (hosts) durchforsten. So habe ich mir für die naechsten Monate ein paar Orte und Menschen ausgesucht, in deren Leben ich jeweils für zwei Wochen hineinschuppern werde. Workaway bietet für beide Parteien eine Win-win Situation – Neben der Hilfeleistung, die man erbringt, steht vor allem der kulturelle Austausch im Vordergrund. Mit Einheimischen zu leben, bringt einem das Land auf eine authentische Weise näher. Und die hosts holen sich, statt selber zu reisen, fremde Kulturen in ihr Haus und bereichern ihren Alltag durch neue Gesichter und Geschichten. Das ist zumindest nach meiner Erfahrung oft die Intention der Workaway-Gastgeber. Auch bietet diese Art des Reisens / der Unterkunft ggf. die Möglichkeit, eine neue Sprache zu lernen, in Quebec und meinem Fall z.B. Französisch.

 

Die ersten zwei Wochen habe ich also in der Naehe von Quebec City bei einem franzoesisch-sprachigen Paerchen verbracht. Rueckblickend haben wir alle wahnsinnig viel gelernt in den zwei Wochen: Waehrend ich mir die Grundlagen des Franzoesischen angeeignet habe, haben Julie und Yvon einen grossen Sprung im Englischen gemacht. Die Beiden sind so herzlich und lustig – die meiste Zeit haben wir herumgealbert, Spiele gespielt, Filme geschaut, gekocht, Ausfluege gemacht oder ueber Gott und die Welt geschnackt. Jaaaaa, in der Tat manchmal sehr langgezogen, wenn die richtige Vokabel hier oder da fehlte. Viel Geduld und Toleranz hat es und drei gekostet, den anderen ausreden zu lassen, seinen Lippenbewegungen zu folgen und motivierend zuzunicken. Und oft ist nur jeder dritte Witz angekommen. Aber wir haben unsere eigene Verstaendigungsstrategie entwickelt und die hat uns auf ganz besondere Weise miteinander verbunden. „Gearbeitet“ habe ich auch ab und zu (Holz in der Werkstatt zugeschnitten, ein Zimmer renoviert, d.h. gegipst und gestrichen), aber das war fuer Julie und Yvon eher nebensaechlich. Ihnen ging es mehr um den kulturellen Austausch, das Englischlernen und die Praesenz von neuen Gesichtern. Die Beiden wohnen in einem kleinen 2.200 Einwohner Dorf, Saint Basil – neben einem Supermarkt, einer Tankstelle, einer Apotheke, einer Kirche, einer Post, einem Sportplatz und einem Park mit Wanderwegen am Fluss, wirkt das Dorf wie ausgestorben. Zum Leben waere das nichts fuer mich, aber zum Reinschnuppern eine tolle Erfahrung!

 

An meinen freien Tagen habe ich Quebec City auskundig gemacht – eine 400 Jahre alte Stadt, in der die dauerhaften Spannungen zwischen Franzosen und Englaendern noch heute Geschichte schreiben. Auch wenn sich die franzoesische Sprache bis heute durchgesetzt hat (in der gesamten Provinz Quebec), haben die Englaender die entscheidende Schlacht 1759 gewonnen. Es ist interessant zu erleben, wie sehr sich Quebec von den restlichen neun Provinzen Kanadas abhebt. Der Wunsch Quebecs, unabhaengig von Kanada zu sein, zeigt sich nicht nur darin, dass die einzige gueltige Amtssprache in dieser Provinz Franzoesisch ist, sondern auch in den provinzeigenen Restaurantketten und Shops, in der Vorliebe fuer Kease (Frankreich laesst gruessen! :-)) und in den Nationalparks, die hier nicht National Parc of Canada, sondern Parc National de Quebec, heissen.

 

Ich habe mich in die Altstadt Quebecs verliebt. Umrandet von der alten Stadtmauer, vermittelt der Stadtkern ein äußerst gemuetliches Ambiente. Und an jeder Ecke entdeckt man ein historisch bedeutendes Gebauede wie die Zitadelle, das Ursulinen-Kloster oder die Notre Dame Kirche. Auch der Geruch von frischen Croissants verleiht einem Spaziergang durch die niedlichen Strassen einen romantisch-französischen Hauch...

 

Eines der Highlights von Quebec City war fuer mich das Glashotel unmittelbar ausserhalb der Stadt. Jeden Winter wird aufs Neue ein komplettes Hotel aus Glas errichtet mit ca. 50 Zimmern und 30 Suiten. Dach, Decken, Waende, Betten (ausser die Matratze), Bar. Alles aus Glas. Ich weiss nicht, warum man 200 Dollar pro Nacht bezahlt, um in einem eisig kalten Zimmer, eingemummelt im Schlafsack mit Muetze und Schal zu schlafen, aber die Konstruktion und die Umsetzung sind faszinierend. Und einen Nachmittags-Besuch ist das Hotel auf jeden Fall wert. Und wer mag, kann einen Drink in der Eisbar in einem Glas aus Eis zu sich nehmen...Ich habe in den drei Wochen Quebec nur einen Bruchteil dieser riesigen Provinz gesehen. Nicht nur, weil weite Teile im Norden nur mit dem Boot zugaenglich sind, sondern auch, weil die Distanzen unvorstellbar sind – Deutschland passt ca. fuenfmal in das 1.540.000 Quadratkilometer grosse Qebec. Und 7.870.000 Einwohner in Quebec im Vergleich zu 80.000.000 in Deutschland. Nicht umsonst, verbindet man Kanada oft mit dem Land der Weite und Freiheit.

Obwohl ich nicht erst seit gestern in Kanada bin, finde ich diese Fakten nach wie vor faszinierend.

Der Abschied von Julie und Yvon ist mir nicht leicht gefallen. Ihre Liebenswuerdigkeit und dieser einzigartige Humor haben es mir wirklich angetan – wir werden mit Sicherheit noch lange in Kontakt bleiben. Als Abschiedsgeschenk habe ich den Beiden eine grosse Collage mit den Grundsaetzen der englischen Grammatik und unseren Insider-Jokes und Fotos gebastelt. Sie haben sich so sehr gefreut. Und das hat mich gefreut.

 

Als naechstes habe ich mich auf einen zweiwoechigen Roadtrip nach Nova Scotia begeben. Zunaechst in Quebec Richtung Norden zum Saguenay River – Hier haben mich Fjordlandschaften und temporaer errichtete Doerfer aus Hauesern auf Raedern auf zugefrorenen Fluessen neugierig gemacht. Etwas, das ich noch nie zuvor live gesehen hatte. Diese im Winter aufgebauten Dörfer haben sogar richtige Straßen mit Namen, Hausnummern und eigene Verkehrsregeln. Der Grund für diese Winterunterkünfte? Die kanadische Vorliebe zum Eisfischen.

Die Hütten haben in der Mitte ein Loch, das bis tief in das Eis geht, sodass man aus der warmen Hütte heraus angeln kann. Clever gelöst. Bei den Durchschnittstemperaturen im Winter wohl auch die einzige Lösung. Ich habe ein Weilchen damit verbracht, einigen Kanadiern, die an diesem sonnigen Tag außerhalb ihrer Hütten ein Loch ins Eis gebohrt hatten, beim Eisfischen ueber die Schulter zu schauen und sie in gebrochenem Französisch mit Fragen gelöchert.

Zunaechst wird ein ca. 20 cm breites Loch in das Eis gebohrt und danach wird recht unspektakulaer eine Angel mit Wuermern als Koeder in das Loch gehalten. 120 von den kleinen Fischen pro Kopf darf man am Tag angeln. Für jede Fischart und jeden Ort gibt es in Kanada klare Regeln, wie viele Fische pro Kopf und Hautfarbe geangelt werden dürfen. Ich meine das nicht als Wertung, sondern als Tatsache: Die Regierung versucht seit Jahren, den aus der Historie heraus stark benachteiligten First Nations spezielle Rechte zu gewähren, unter anderem ausgedehnte Fischereirechte. In meinen Augen ist es ein verzweifelter Versuch, Wunden zu heilen, die nicht heilbar sind. Doch reichen diese kleinen Gesten nicht aus. Die Thematik der Diskriminierung ist jedoch zu umfassend und komplex als dass man sie leicht lösen könnte. Das wird ein langer und schwerer Weg sein, auf dem die Regierung hoffentlich wichtige Entscheidungen in die richtige Richtung trifft, um den First Nations eine Reintegration in die Gesellschaft langsam aber sicher zu ermöglichen.

Der erste wichtige Schritt war die öffentliche Entschuldigungsrede von Stephen Harper, ehemaliger Premierminister Kanadas, im Jahr 2011. Erschreckend spät, aber besser spät als nie. In dieser Rede hat er sich bei den First Nations unter anderem für die Errichtung und Geschehnisse in den sogenannten Residential Schools entschuldigt und damit das ausgesprochen, was jahrelang totgeschwiegen wurde. In diesen 3.000 internatartigen Schulen für First Nations wurden die Kinder von den Eltern ferngehalten und ihrer Kultur beraubt, nicht zuletzt durch das Verbot des Gebrauchs ihrer Muttersprache. Man hat ihnen den katholischen Glauben aufgezwungen, ihre ursprünglichen Instinkte ausgelöscht und sie wurden psychisch und physisch misshandelt. Eine traurige Vergangenheit, die man noch heute in den schweren und dunklen Augen vieler First Nations erkennen kann. Ich könnte ewig weiter darüber schreiben, so ergreifend und komplex finde ich diese Thematik – Kommen wir aber zurück zum Eisfischen.

Der froehlich-warmherzige Kanadier, dem ich ein wenig beim Angeln zugeschaut habe, hat mir laechelnd gebeichtet, dass er das Tageslimit in diesem Leben nicht mehr erreichen wuerde. Sein Maximum liege bei 72 Stück am Tag. Lecker sollen sie sein, diese kleinen „Smelts“. Vielleicht habe ich noch eine Gelegenheit, sie zu probieren. Diese Unterhaltungen hier und da sind einfach unersetzlich – mit wem werde ich sie auf den Hamburger Strassen ersetzen koennen, wenn ich Ende April zurueckfliege? Aber da bin ich jetzt noch nicht.

 

Nach Saguenay ging es auf die andere Seite des St. Lawrence River (der bis in den Atlantischen Ozean fliesst), die Suedseite des Flusses entlang bis zur Gaspé-Halbinsel, ein unverzichtbarer Teil Quebecs. Windige Kueste und im Wind tanzender Schnee, Leuchttuerme, skandinavisch anmutende Holzhaueser in allen Farben -

Ich habe fast jeden Tag einen Nationalpark angesteuert, in dem ich ein paar Stuendchen wandern konnte, teils zu Fuss, teils mit Schneeschuhen und teils mit Hoks (eine Mischung aus Langlauf-Ski und Schneeschuhen). Hoks sind meine absoluten Favoriten: Dank der Haeute, die sich unter den Hoks befinden, kann man wunderbar bergauf laufen, ohne zu sehr zu rutschen. Bei sehr steilen Passagen helfen die Stoecke, die man kraftvoll links und rechts in den Schnee presst. Bergab ist hingegen eine andere Herausforderung. :-) Ohne die Moeglichkeit eines Richtungswechsels ist man in der ca. 30 cm breiten Spur leicht aufgeschmissen, wenn gleich nach dem Huegel eine Linkskurve folgt, die von diversen Bauemen in jung und alt gesaeumt ist. Da schmeisst man sich im letzten Moment lieber freiwillig in den Schnee, bevor man unfreiwillig in den Aesten der naechstbesten gelben Birke haengt. Ein Heidenspass dieser Ausflug. Ich musste reichlich ueber mich selbst schmunzeln. 

 

Ich wuerde gerne prahlen, dass ich keine Probleme mit dem kanadischen Winter habe. Aber das waere nicht fair. Denn dieses Jahr erlebt Kanada keinen typischen Winter. Der erste Schnee ist am 30. Dezember gefallen (statt Mitte November) und seitdem ist es kaum kaelter als -20 Grad gewesen. Ein milder Winter, der es mir ermoeglicht, wandern zu gehen (natuerlich trotzdem in Skihose, Sturmmaske und Wollmuetze) ohne einzufrieren. Nur bei einer einzigen Wanderung auf der Gaspé-Halbinsel sind meine Wimpern eingefroren und mein rechter Daumen und Zeigefinger derart kalt geworden, dass ich vor Schmerzen fast angefangen habe zu weinen. Ein Erlebnis, das ich nicht nochmal haben muss, das mir aber erneut bewusst gemacht hat, wie arm die Menschen, die bei diesen Temperaturen kein Dach ueber dem Kopf haben, dran sind. Erschreckend. Traurig.

Trotz des Kaelteschocks war die Wanderung, welche den Blick auf den beruehmten Percé Rock aus der Distanz und von der Bergspitze ermoeglicht, jeden Schritt wert.

Der Percé Rock ist eine 88 m hohe Felsformation mit einem Bogentor, einer der groessten natuerlichen Wasserboegen weltweit. Natuerlich – wir sind immer noch in Kanada. Da ist jede Attraktion entweder am groessten, hoechsten, schnellsten oder schlichtweg am besten. Wer diese Bewertungen und Entscheidungen trifft, bleibt oft unbekannt :-) 

 

Auf der Gaspé-Halbinsel habe ich mich in einem kleinen lokalen Museum in Bonnaventure ueber die Akadier gebildet, die einen wichtigen Teil der Bevoelkerung Atlantik-Kanadas ausmachen. Akadier sind Nachkommen von französischen Siedlern, die sich im 17. Jahrhundert vor allem in den Küstengebieten der damaligen französischen Kolonie Akadien niedergelassen hatten, was dem heutigen Nova Scotia, New Brunswick und Prince Edward Island entspricht. Nachdem Grossbritannien Anfang des 18. Jahrhunderts auch Akadien fuer sich erklaert hatte, wurden die Akadier gezwungen, einen Eid auf die britische Krone zu schwoeren. Verweigerer wurden vertrieben. Ca. 12.000 Akadier wurden damals deportiert, von denen 2.000 Akadier in den Wäldern überlebt haben. Ein trauriger Abschnitt aus Kanadas Geschichte, dem die heute im Osten Kanadas weit verbreiteten Akadier durch Stolz und (Ueber)lebenswillen entgegentreten. Die Fahne (blau mit Sternchen, weiss, rot) der Akadier weht ueberall und mit ihrem Fraenglisch (jeder Satz ist ein Kuddelmuddel, Englisch und Franzoesisch wechseln sich regelrecht ab) ziehen sie an sich schon jede Aufmerksamkeit auf sich. „Bonjour, can you aider me pour one second?“ Fuer Englisch- oder Franzoesisch-Anfaenger nicht der beste Start – fuer Reisende und Auswanderer ein Must-See bzw. Must-Hear! :-) 

 

Die Gaspé-Halbinsel verbindet im Sueden eine Bruecke mit der Provinz Kanadas, die die Kanadier als die „Durchfahr-Provinz“ beschreiben – New Brunswick. Hier habe ich eine Nacht in Campbellton bei einem Couchsurfer verbracht, Donat. Der aelteste Couchsurfer, den ich bisher kennenlernen durfte. Und mein absoluter Favorit! Ein eigenes Zimmer, frisch gemachtes Doppelbett und ein warmes Laecheln. Und nachdem ich mich eingerichtet hatte, gab es Tee und Apple Pie. Ich habe schnell gespuert, dass Donat sich ueber Gesellschaft freut und so hat er mir angeboten, am naechsten Morgen in den naheliegenden Sugarloaf Provincial Park zu fahren und ein wenig wandern zu gehen. Das hatte ich ohnehin vor und mit einem Experten im Gepaeck, umso besser. :-) Da er einen Jahrespass und folglich einen Schluessel zu der Basishuette hat, konnten wir sogar eine heisse Schoki nach unserer Wanderung trinken.

Couchsurfing ist wunderbar. Fuer die aeltere Generationen unter euch (bitte nicht persoenlich nehmen), koennt ihr euch unter diesem Link ein Bild verschaffen, wie Couchsurfing funktioniert: www.couchsurfing.com

 

In kurz: Man erstellt sich ein Profil und gibt auf der Internetseite im Suchfeld die gewuenschte Stadt ein, in der man einen Schlafplatz sucht. Daraufhin erhaelt man alle Hosts, die ein Bett oder eine Couch in der angegebenen Stadt zur Verfuegung stellen. Nun kann man eine persoenliche Anfrage mit Datum und Anzahl der Naechte stellen und bekommt entweder eine Zu- oder Absage. Bei einer Zusage erhaelt man die Adresse und schwups, hat man einen kostenlosen Schlafplatz. Easy going, kostenlos und vielseitig – man lernt neue Menschen kennen und erlebt die unterschiedlichsten Situationen in einem Alltagsleben eines Kanadiers (oder Zugewandertem :-)). Manchmal denke ich, man koennte ein ganzes Buch alleine ueber die Couchsurfing-Erfahrungen schreiben. Oft sind es nur ein paar Stunden am Abend, die man mit seinem Couchsurfer-Host verbringt, doch manchmal sind diese Stunden praegend. Wie ihr sicher wisst, bin ich grundsaetzlich lieber mit Locals als mit anderen Touristen zusammen. So lernt man das wahre Gesicht einer Stadt kennen und schaut hinter die Fassade des nach aussen glaenzenden Bildes. So habe ich in den letzten Wochen das Leben der unterschiedlichsten Charaktere kreuzen duerfen, das neben all den bezaubernden Landschaften, Wanderungen und kulturellen Highlights eine mindestens ebenso grosse Bereicherung war: Ein junger Theaterschauspieler in Ottawa, ein naturliebendes Paerchen am See nahe Kingston in Ontario, zwei Musiker und Kuenstler in Saguenay, eine chaotisch-liebenswuerdige Familie in Rimouski, Quebec, vier verrueckte Hippie-Studenten in Gaspé, dem netten Opi Donat in Campbellton und dem absoluten Brettspielfanatiker und Freak Adam in Fredericton, New Brunswick.

 

Ein paar Naechte musste mein Auto Bob dran glauben. Ich war neugierig, ob man bei -15 Grad gemuetlich im Auto schlafen kann. Die Antwort lautet: Yes, you can. Mit Skihose, Muetze, Sturmmaske (es wird sonst ein wenig kalt ums Naeschen), Schlafsack und dicker Decke (Danke Mama!). Der Vorteil von einer Übernachtung um Auto ist, dass ich meinen Schlafplatz frei waehlen kann. Neben einem zugefrorenen Fluss mit meterdicken Eisschichten und klarem Sternenhimmel oder an der Bay of Fundy mit dem Rauschen der Wellen des Atlantiks.

Bob schlaegt sich nach wie vor wacker – toi, toi,toi war ein platter Reifen bis dato das einzige Mal, dass er sich zu Wort gemeldet hat. Fuer die vielen Kilometer, die er auf dem Tacho hat, ist das ein faires Ausmass! Heute haben wir hier in Digby alle Fluessigkeiten aufgefuellt (ja, auch ueber Autos lerne ich einiges – Es gibt neben Scheibenwischer-Fluessigkeit auch Fluessigkeit fuer die Servolenkung, Kühlflüssigkeit, Getriebeöl und Bremsfluessigkeit. :-)) und nun macht Bob weit weniger Geraeusche als die letzten Tage. Und wir sind bereit fuer die verbleibenden zwei Monate und schaetzungweise 5.000 km.

 

Ich wuerde New Brunswick, anders als die Kanadier, nicht als reine „Durchfahr-Provinz“ beschreiben. Einige Teile ja, aber St. Johns als Provinzhauptstadt hat ein gemuetliches Hafen- und Speicherstadtflair – die roten Backsteinhaeuser und das ueberschaubare Downtown mit dem King´s Square und der Waterfront sind allemal ein Nachmittagsbesuch wert. Und die Bay of Fundy, an der St. John liegt, ist absolut sehenswert. Durch die schmale Form der Bucht betraegt der Unterschied zwischen Ebbe und Flut bis zu 16 Meter, denn das Flutwasser kann aufgrund der Enge nicht seitwaerts ausweichen, sondern presst stattdessen nach oben. Daher der enorme Hoehenunterschied. Doch nicht nur aufgrund ihres hohen Tidenhubs, sondern auch dank ihrer Felsformationen bleibt sie in Erinnerung. Oestlich von St. John habe ich die Hopewell Rocks „beklettert“. Von Eiswaffeln ueber Pilzkoepfe haben diese Felsen, an denen man bei Ebbe entlang laufen kann, sehr interessante Formationen. Hier laesst sich die Wirkung der Gezeiten an den Felsen bildlich erkennen. Das interessante Phänomen der Bay of Fundy tritt bei ihren Zuflüssen auf. Denn bei Hochwasser dreht sich die Fließrichtung einfach um und wenn man genug Ausdauer hat (alle 6 Stunden Wechsel von Ebbe zu Flut und andersherum), kann man Zeuge davon werden, wie 160 Milliarden Tonnen Wasser ihre Stromrichtung aendern. Dort, wo Fluesse in die Bay of Fundy fliessen, entstehen regelrecht Stromschnellen und wild tanzende Wellen, wenn die eine Seite ihre Fliessrichtung bereits geaendert hat und gegen die Kraft der anderen Seite presst. Und zwischen Ebbe und Flut gibt es einen Moment der Stille, in der das Wasser fuer 20 Minuten ruht, wie in einem See. Mich beeindruckt das Phaenomen Wasser jedes Mals aufs Neue, besonders wenn sich die Wasserkraft so deutlich zeigt. Die Bay of Fundy ist nicht nur wild, sondern auch reich an Fisch. Folglich angeln die lokalen Fischer von Hummer, Scampi, Kammmuscheln ueber Kabeljau bis hin zu Schellfisch alles, was die Netze tragen koennen. Mir gefallen die Fischerorte – sie haben so etwas Rustikales und gleichzeitig Gemuetliches, Echtes.

 

Die Bay of Fundy ist riesig (220 Kilometer lang und 60 Kilometer breit), auch jetzt befinde ich mich an ihr, allerdings auf der anderen Seite in Nova Scotia. Hier gibt es diverse Basalt-Formationen

Seit Samstag wohne ich bei Saskia und Claude, einem hollaendisch-kanadischem Paerchen, das vor acht Jahren hier in Digby ein Hostel eroeffnet hat. Die Zwei hatten ebenfalls über das Portal Workaway Unterstützung in ihrem Hostel bzw. ihrem neuen Projekt, dem Bau einer Bar, gesucht und da habe ich mich vor ein paar Wochen gemeldet. Sie haben sich gefreut und mir gleich zugesagt. Und jetzt bin ich seit knapp 10 Tagen hier. Letztes Jahr haben sie ein heruntergekommenes Gebauede um die Ecke gekauft, das sie in eine Bar umwandeln moechten. Absolute Baustelle. Die Eroeffnung in diesem Sommer scheint so fern wie Deutschland von Digby.  

Aber ich helfe fleissig mit „Kleinigkeiten“, wie z.B. Lampen abhaengen, alte Stromkabel abtrennen, die nicht brandsicheren Deckenpolster heraustrennen und neue Holzgestelle als vorruebergehende Stuetze bauen und aufstellen (sonst koennte das Haus bei den Bauarbeiten zusammenbrechen :-)). Saskia und Claude wohnen in dem Hostel in einem abgetrennten Bereich, aber nutzen dieselbe Kueche wie ihre Gaeste. Ich schlafe in einem der Hostelzimmer und kann die Kueche und den Wohnraum mitnutzen. Das ist wunderbar zum Kochen (Saskia und Claude stellen Fruehstueck und einige zusaetzliche Mahlzeiten, aber nicht die komplette Verpflegung). Und das Wohnzimmer nutze ich ordentlich zum Gitarre Spielen. Ich habe vorgestern mein erstes Lied auf Gitarre vervollstaendigt: Milo „Little in the middle“ und „Happy Birthday“ (das ich extra fuer Flav am 22.02. gelernt und per Video verschickt habe :-)). Nun lerne ich gerade „Follow you, follow me“ von Genesis. Noch nehme ich die Akkordwechsel gerne in Zeitlupe vor, aber das duerfte sich mit der Zeit aendern. Und Hauptsache es macht Spass!  

 

Nova Scotia gefaellt mir bis dato sehr gut. Man spuert die windige Atlantikkueste an vielen Ecken, so auch in der Provinzhauptstadt Halifax. Einigen von euch mag die Stadt im Zusammenhang mit der Titanic ein Begriff sein. Der Hafen von Halifax wurde als erster Hafen fuer Hilfe angefunkt, als die Titanic zu sinken drohte. Entsprechend beherbergt die Stadt eine detaillierte Ausstellung ueber das Unglueck aus dem Jahre 1912. Auf dem Fairview Friedhof liegen knapp 200 Opfer begraben, unter anderem Jack, dessen Charakter Leonardo Di Caprio im gleichnamigen Film verkoerpert. Halifax ist, wie St. Johns in New Brunswick eine Hafenstadt und mit knapp einer Million Einwohnern unter den zehn groessten Staedten Kanadas. Halifax wurde in der Vergangenheit von drei bedeutenden (und tragischen) Ereignissen heimgesucht:

1912 Titanic-Untergang

1917: Halifax Explosion,  bei der mehr als 2.000 Menschen in Halifax umgekommen sind und mehrere tausend verletzt wurden und ihre Haueser verloren haben. Zu der Explosion ist es aufgrund eines Zusammenstosses zweier Schiffe im Hafen gekommen, dem franzoesischen Munitionsschiff Mont Blanc (1. Weltkrieg) mit dem norwegischen Schiff Imo.

1928 - 1971: Einwanderungswelle ueber Pier 21. Ueber eine Million Menschen aus der ganzen Welt sind im 20. Jahrhundert per Schiff am Pier 21 in Halifax gelandet und haben oft tagelang auf ein „Ja“ gewartet, das ihnen ein neues, gluecklicheres Leben bereiten sollte…Auch hierzu gibt es ein sehr anschaulich aufbereitetes Museum mit den Stimmen vieler Schicksale, die sich ein neues Leben im Traumland Kanada aufgebaut haben, manchmal glücklich, manchmal traurig. Fuer Interessierte unter euch: Das Museum bietet eine sehr interaktive Website: http://www.pier21.ca/home/

 

Im „Halifax von heute“ erkennt man diese Erlebnisse natuerlich nicht auf den ersten Blick, doch sind die Stadt und ihre Menschen sehr darauf bedacht, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Viele Denkmaeler und ein tiefer Zusammenhalt unter den Einwohnern zeugen von einer praegenden Geschichte.

Am Abend habe ich mich in die alternative Szene begeben und ein Poetry Slam angehoert. Etwas, das ich nicht nur in Hamburg gerne mache.

 

Am Sonntag mache ich mich auf den Weg zu den naechsten Workaway-Hosts, ebenfalls einem Paerchen, das eine Hobby-Farm besitzt. Die „Farm-Mama“ stellt Seife aus Ziegenmilch her. Da bin ich sehr gespannt drauf. Ich werde ihnen eine Woche mit ihren Ziegen und Hühnern helfen, Ställe säubern, Ziegen melken und vielleicht auch Seife herstellen. Mal schauen. Danach geht es zu einem aelteren Paerchen nach Prince Edward Island, der kleinsten Provinz Kanadas, bevor ich mich mit meinem besten Freund Fabi treffe und mit ihm Neufundland unsicher machen werde.

Gestern Abend habe ich Chuckwagon Beans (ein west-kanadisches Ahornsirup-Bohnen/Hackfleischgericht) fuer Saskia und Claude gekocht. Das haben ich auf meinen Campingtouren mindestens einmal pro Tour fuer meine Gäste gekocht. Meistens musste ich es ein zweites oder sogar drittes Mal kochen, da wir Deutschen es schlichtweg es zu lieben scheinen. Vielleicht kommt ja der ein oder andere von euch kommt auch auf den Geschmack, wenn ich wieder in Hamburg bin. Heute in zwei Monaten.

 

Soweit von dieser Seite der Welt.

Macht es gut ihr Lieben. Ich melde mich aus der naechsten Provinz. 

Und hier gibt es viiiiiiele viele Fotos fuer euch:

 

https://goo.gl/photos/82FVxdoSVFhof8nV9

 

Eure Lotti